Wie viel ist dieser Gipfel wert? Sehr viel. Er macht sogar ermüdende Aufstiege und unterirdische Abfahren wett.
Es liegt wenig Schnee in Hinterbrand bei Berchtesgaden, dem Ausgangspunkt zur Skitour auf den Hohen Göll (2.522 Meter) in den Berchtesgadener Alpen. Genau genommen ist die Schneedecke nicht vorhanden. Die Reste des letzten Schneefalls bedecken den Waldboden nur dürftig. Man hat hier nur eine Wahl: die Skier nicht wie gewohnt an den Füßen, sondern am Rucksack auf dem Rücken zu tragen, oder umzukehren. Zweiteres schließt sich selbst aus. Man hat sich immerhin einen Gipfel ausgesucht – und den will man auch erreichen.
In kurzen Schritten trotten wir mit Skischuhen über glitschige Steine und Wurzeln, immer darauf bedacht, nicht mit den Skiern an Fichtenästen hängen zu bleiben. Oberhalb des seilversicherten Sommerwandels, nach etwa 30 Minuten Gehzeit, wollen wir die Skier anschnallen.
An der ausgesetzten Stelle manövrieren wir locker vorbei. Und dann, Überraschung, kein Schnee. Die Skier werden weitergetragen, die Schneedecke wächst allmählich. Die Beschaffenheit dieser lässt allerdings zu wünschen übrig: teilweise von Eisbrocken bedeckt, stückweise so stark glattgerutscht, dass auch die besten Felle ihre Haftung verlieren. Also weiterschleppen.
Trotzdem gut gelaunt überklettern wir eine etwa zehn Meter hohe Felsstufe und werfen nach dem letzten Schritt freudig unsere Skier in den Schnee. Endlich können wir den Aufstieg durch das Alpeltal auskosten. Ein weites Kar, von einzelnen Lärchen und Latschen bewachsen, weist den Weg zum Hohen Göll.
Auf der gegenüberliegenden Seite lugt bereits der Watzmann hervor, darunter schimmert grünlich der Königssee.
Auf Schnee gestoßen
Der Aufstieg ist jetzt stetig steil, bis wir eine weitläufige Hochfläche erreichen, die sich zwischen Hohem Brett und Göll aufzieht. Die Einheimmischen nennen sie die „Umgäng“. Die Fläche gleicht einer Mondlandschaft. Immer wieder fällt die Spur leicht ab, steigt am Gegenhang erneut an, umrundet tiefe Mulden und zehrt stark an unseren Kräften. Vorbei am Hohen Brett durchqueren wir das Tal bis zu jender Scharte, an der sich Göll und Hohes Brett vereinen.
Die letzten 250 Höhenmeter stehen an. Ein Blick auf die Rinne, die hoch zum Kuchler Kreuz führt, prophezeit: das wird kein Spaziergang werden. Zwar haben sich die Schneeverhältnisse im Laufe der Tour stark gebessert, die Oberfläche hier oben präsentiert sich aber äußerst schwierig. Der Schnee ist extrem filzig – heißt: einen Schritt setzten, 20 Zentimeter zurückrutschen. Der Schnee ist aber nicht nur filzig. Dazwischen mischt sich auch noch Bruchharsch, den die abfahrenden Skifahrer in die Aufstiegsspur gestreut haben.
Für uns gibt es jetzt im wahrsten Sinne des Wortes kein Halten mehr. Vom Ehrgeiz gepackt und ziemlich angefressen über die unpassablen Schneeverhältnisse stürmen wir die Rinne hinauf.
Am Kuchler Kreuz halten wir kurz inne. Die Eindrücke, die jetzt auf uns einprasseln, sind unglaublich stark: die umliegenden Gipfel, unten im Grünen die Salzburger Landeshauptstadt, darüber die berühmte Göllwechte, die fragil den Abgrund der Göll-Ostwand überragt.
Beeindruckt überschreiten wir den Grat in Richtung Gipfel. Der Ärger über den Schnee verschwindet.
Der Wind hat den Grat stark bearbeitet. Bis auf eine dünne, eisige Schneeschicht wurde der meiste Schnee in die Ostwand verfrachtet. Einen kleineren Teil hat die mächtige Wechte an sich gebunden.
Kurz vor dem Gipfel lassen wir unsere Skier liegen und steigen den finalen Anstieg zu Fuß hoch. Mit den Spitzen der Skischuhe schlagen wir kleine Tritte in den windgepressten Untergrund. Jetzt nur nicht ausrutschen.
Am Gipfel wartet noch eine Überraschung auf uns: ein Bergfreund, mit dem wir eigentlich zusammen aufsteigen wollten. Vroni hat sich trotz versprochener Pünktlichkeit am Morgen verspätet, der Bergfreund nicht gewartet, weil der wiederum dachte, wir hätten nicht gewartet.
Jetzt bestaunen wir endlich vereint den Kristall im Gipfelkreuz des Gölls, den Watzmann, den Untersberg, den Dachstein.
Wie so oft in dieser Saison bläst auch heute ein kräftiger Wind. Wir machen noch einige Fotos – natürlich liebevoll und speziell für euch und bereiten uns auf die Abfahrt vor.
Oben hui, unten pfui
Die Abfahrt wird nicht in die Geschichte unserer besten eingehen. Das wussten wir schon beim Aufstieg. Die Rinne am Gipfelhang fährt sich noch ziemlich gut. Danach beginnt ein wahres Ski-Massaker. Zu wenig Schnee, gepaart mit ein bisschen Neuschnee lassen Steine gefährlich und zugleich unerkenntlich werden. Bei jedem „Krrrrschtt“ zucke ich innerlich zusammen und bin mehr damit beschäftigt, eine halbwegs sichere Linie zu finden, als die Abfahrt zu genießen.
„Wären wir doch über die Ostwand abgefahren“, denke ich mir. Das wäre garantiert nicht schlimmer gewesen. (Anm.: Die Abfahrt über die Göll-Ostwand ist eine Steilwandabfahrt die nur selten und bei sicheren Bedingungen befahrbar ist.)
Die Hochfläche überqueren wir mal tretend, schiebend oder langsam dahinkriechend. Durch das Alpetal fährt es sich zunächst noch sehr gut, bis wir den Lärchenwald erreichen. Gefrorene Schneebrocken und blanke Eisflächen machen es beinahe unmöglich, einen ordentlichen Schwung zu setzen. Ich komme mir vor, als stünde ich das erste Mal auf Skiern.
Die ganze Abfahrt hatte ich schon im Kopf, dass wir die Ski ja auch noch zum Auto tragen müssen. Oberhalb der Steilstufe bleibt uns nichts anders übrig, als die Ski erneut auf dem Rucksack zu befestigen. Schweren Schrittes trotten wir durch den kargen Wald.
Das LVS-Gerät haben wir zum Schutz vor Muren noch angelassen. Bis zum Schluss hallen Scherze über diese „unvergessliche“ Abfahrt durch den Wald. Als wir unten am Parkplatz unseren Rucksack in den Schnee, ähh Schotter, werfen sind wir erledigt, aber zufrieden.
Die Tour auf den Hohen Göll war für mich eine Qual und das Ausleben meiner Leidenschaft zugleich. Eine Qual, weil ich normalerweise auf einen Gipfel steige, um mir eine besondere Abfahrt zu ermöglichen, bei der ich den Schnee nicht mit der Lupe suchen muss. Andererseits haben wir wieder einmal das Beste aus diesem bescheidenen Winter gemacht. Der Göll ist auf alle Fälle ein Gipfel mit einzigartigem Charakter. Perfekt wäre die Tour sicherlich bei Firn. Mal sehen, wie hoch man die Skier dann tragen muss.
Tourdaten
- Aufstieg: 1.450 Höhenmeter
- Dauer: 3,5 Stunden für den Aufstieg
- Distanz: 6 Kilometer
- Für Einsteiger ungeeignet
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