Bergtouren Tourentipps

Scharfer Steig: Neues Leben für einen toten Klassiker

Ein Anstieg ins Tennengebirge – fast vergessen. Zu unrecht, ist er doch von rauer Schönheit.

Die Wanderung über den Scharfen Steig ist bei uns im Lammertal eine der klassischen und schönsten Touren im Tennengebirge. Wenn ich hier vom Lammertal spreche, dann meine ich das wirkliche Lammertal. Das beginnt bei mir zuhause in Lungötz und endet in der Aualm. Dort wo die Lammer ihren Ursprung hat.

Der Scharfe Steig genießt bei uns Kultstatus. Die Tour ist von rauer Schönheit. Schon mein Vater und seine Bergkameraden haben, als sie noch in meinem Alter waren, auf der 3 Kilometer langen Strecke ihre Kräfte gemessen. 1.000 Höhenmeter überwindet der Steig vom Flussbett der Lammer bis hinauf zur Scharte unterhalb des Edelweißkogels. Darf man den Überlieferungen glauben, denn GPS-Tracks und Strava gab es damals noch nicht, lag die Bestzeit für den Scharfen Steig bei rund 40 Minuten.

Meine erste große Bergtour habe ich am Scharfen Steig unternommen. Meine Schwester und ich waren damals im Grundschulalter. Der Vater hat uns auf den Fritzerkogel mitgenommen. Wir sind als Familie aufgebrochen. Den Gipfel haben wir ohne die Mutter erreicht. Sie hat es am Scharfen Steig mit der Angst zu tun bekommen und ist umgekehrt. Wir Kinder haben uns nach der Tour wie richtige Bergsteiger gefühlt. So, als würden wir endlich dazugehören.

Auch heute noch hat die Tour über den Scharfen Steig einen Pflichttermin im Bergkalender der Einheimischen. Wir gehen am liebsten im Herbst. Dann, wenn der Südhang schön trocken ist und die orangen Blätter der Buchen das Tal in goldenes Licht tauchen.

Das Paradoxe: Obwohl die Tour bei uns in der Gegend ein absoluter Klassiker ist, trifft man während einer Wanderung am Scharfen Steig – niemanden. Selbst an schönen Sommertagen streift man meist einsam durch die grünen Bergwiesen.

Ich habe lange damit gehadert, eine Geschichte über den Scharfen Steig auf unserem Blog zu veröffentlichen. Eine so einsame Tour verraten? Ich würde sicher von mehreren Berg-Fanaten eine auf den Deckel bekommen.

Als ich die Tour das letzte Mal gemacht habe, bin ich zu dem Entschluss gelangt, dass es dem Scharfen Steig guttut, wenn er öfter begangen wird. An vielen Stellen ist der Weg stark verfallen, vom langen Gras überwuchert oder weniger als zwei Fuß breit. Ein paar mehr Füße, die über ihn trampeln, schaden also nicht.

Alte Wege neu entdecken

Der Steig beginnt direkt am Bachbett der Lammer hinter den Feldern der letzten Bauern im Lammertal. Dort, wo alte Stacheldrahtzäune die Kulturlandschaft von der wilden Berglandschaft abgrenzen, schwingen bald die Flanken des Tennengebirges auf. Steile Rinnen durchschneiden die Mischwälder. Im Winter donnern Lawinen durch die Schneisen ins Tal.

Der erste Anstieg führt dich über eine Almwiese. Meist grasen hier Kühe, summen Bienen und springen Heuschrecken auf, wenn du die Schuhe ins Gras setzt. Du kreuzt eine mit Schotter und Felsblöcken gefüllte Rinne und tauchst gleich darauf in einen Buchenwald ein.

Der Weg windet sich in Serpentinen über den Waldboden. Der Untergrund ist weich von vielen Blättern, die hier Jahr um Jahr zu Boden segeln und sich in lockeren Humus verwandeln. Am schönsten ist das Wandern hier im Herbst. Dann ist das Blätterdach so licht, dass die Sonnenstrahlen es durchdringen mögen. Den Boden bedeckt goldenes Laub, das raschelt, wenn du deine Füße hebst und wieder senkst.

Den Wald verlässt du an einem Felsabsatz. Was nun vor dir liegt ist ein scheinbar nicht enden wollender Grashang.

Lammertalerisch für Einsteiger

Der Grashang ist so charakteristisch, so unverkennbar, dass er im Lammertal einen eigenen Namen hat. Wir nennen ihn den Grea Onga – den Grünen Anger.

Der Grea Onga zieht immer steil ansteigend bis zu den Südwänden des Edelweißkogels und der Hochkarfelderköpfe empor. Der Weg windet sich in rhythmischen Rechts- und Linkskurven durch die Bergwiese.

Nach Regenfällen oder kühlen Nächten kleben Tautropfen an den Gräsern. Dann sind deine Beine bald klitschnass. Denn die Grashalme sind oft so hoch, dass sie dich bis zur Hüfte herauf kitzeln.

Im Frühjahr und Sommer blühen hier Glockenblumen, Heidekraut und Alpendisteln. Schmetterlinge und Hummeln segeln von Blüte zu Blüte und lassen sich nicht stören, wenn du im Vorbeigehen die Stängel streifst, auf denen sie gerade rasten.

Im Herbst wiegen die Grashalme leicht im Wind; ausgetrocknet und ausgebleicht von der Sommersonne. Wenn du genau hinhörst, kannst du sie bei jeder Böe klirren hören. Es ist still. Nur das Streichkonzert der Grashalme begleitet dich.

Weiter oben münden breite Schotterzungen in den Grünen Anger. Die größte schiebt sich rechts durch die Newigoss herab. Newi was? Wieder ein Dialektausdruck aus dem Lammertalerischen, den ich dir gerne übersetze: Die Nebelgasse ist eine Rinne, die von der Scharte unterhalb des Hochkarfelderkopfes in den Grea Onga verläuft. Wie ihr Name schon verrät, hängen in der Schlucht häufig hartnäckige Nebelfetzen. Heute ist die Newigoss frei von Nebel – dafür vom Neuschnee bedeckt.

Nach dem Grea Onga beginnt der anspruchsvolle Teil des Scharfen Steiges – irgendwie muss er seinem Namen schließlich gerecht werden.

Steiles Ende am Scharfen Steig

Es folgt ein ausgesetzter Quergang über grasbewachsene Schrofen. Zur Linken fällt das Gelände steil ab. Ausrutschen wäre hier ungut, ist aber nicht so weit hergeholt. Das Gras ist oft nass, also rutschig und der Steig immer wieder von feinem Schotter überzogen. Du bewegst dich an der Grenze, wo Klettern noch nicht nötig, Gehen aber fast nicht mehr möglich ist.

250 Höhenmeter arbeitest du dich in dieser Schwierigkeit (I) nach oben. Der Weg weicht bald nicht mehr nach links und rechts aus, sondern verläuft in direkter Linie über Graskuppen und kleinere Felsabsätze.

Die Gämsen lieben dieses Gelände und die Wahrscheinlichkeit steht hoch, dass du hier der ein oder anderen begegnest.

So plötzlich der Scharfe Steig seine wilde Seite gezeigt hat, so abrupt sind die scharfen Passagen auch wieder vorbei. Das Gelände flacht ab, den Scharfen Steig lässt du hinter dir und stehst auf einem grasbewachsenen Sattel auf 1.950 Metern.

Das Tor ins Tennengebirge

Das eigentliche Gipfelvergnügen beginnt erst nach dem Scharfen Steig. Klar könntest du jetzt einfach umdrehen, oder über die Laufener Hütte nach Abtenau absteigen. Ich würde dir raten, zumindest den Edelweißkogel mitzunehmen, der zur Linken des Sattels liegt. Dürfen es ein paar mehr Höhenmeter sein, gehst du weiter Richtung Fritzerkogel oder Hochkarfelderköpfe.

Ich steige heute zuerst zum Edelweißkogel (2.030 m) auf. In der Nacht hat sich eine dünne Schneeschicht über die Äste der Latschen und die Bergwiese gelegt. Bis jetzt habe ich keine anderen Wanderer getroffen. Im Schnee sehe ich nur Spuren von Gämsen; und die meinen.

Der Edelweißkogel ist ein wundervoller Aussichtsberg. Du blickst zum Gosaukamm und den Dachstein, in die Hohen Tauern und gegen Norden ins Alpenvorland.

Den Heimweg trete ich über die Hochkalfelderköpfe an. Dazu steige ich wieder zum Sattel ab und den steilen Grashang gegenüber auf.

Die Hochkarfelderköpfe, es sind ihrer vier, gehören bei uns in der Gegend zu den beliebtesten Tourenzielen. Die meisten Wanderer steigen aber nicht über den Scharfen Steig, sondern über Abtenau und die Laufener Hütte auf. Den höchsten der vier Gipfel nennen wir einfach das Hehkoa (2.219 m).

Der Weg aufs Hehkoa zieht sich. Hinter jedem Anstieg sehnt man sich den Gipfel herbei. Dreimal muss man davor aber nochmal kurz ab- und wieder aufsteigen. Im Sommer begleitet dich das Blöken der Schafe und das Bimmeln ihrer Glocken. Im Herbst und im Winter fegt meist ein beißender Wind über die Grasberge.

Der Weiterweg könnte dich über die Tagweide nach Abtenau oder den Passrucksteig und die Wildau zurück ins Lammertal führen. Ich will heute durch die Nebelgasse zum Scharfen Steig absteigen.

Rutschpartie durch die Newigoss

Der Weg durch die Newigoss ist nicht beschildert oder markiert. Eigentlich gibt es dort überhaupt keinen Weg. Du musst selbst eine kluge Linie durch die Felsabsätze und die Schotterbänke wählen. Ich rate jedem, der sich in diesem Gelände nicht sicher bewegen kann, von dieser Variante ab. Alle anderen können es in der Schotterrinne richtig krachen lassen und werden riesigen Spaß beim Surfen haben.

Achte aber bitte darauf, keine Steine loszutreten. Das Gelände ist nach unten hin offen. Keine Bäume oder Latschen halten hier Felsblöcke auf und du würdest Wanderer am Scharfen Steig gefährden. Dieser liegt genau in der Falllinie.

Bist du zurück am Scharfen Steig, schließt du die Tour ab, wie du sie begonnen hast: einsam, still, begleitet vom Singen der Grashalme, vom Summen der Hummeln und hüpfenden Heuschrecken.

An alle Höhenmeter-Fresser: Auf Strava gibt’s auf der Tour jetzt ein paar neue Segmente und der Scharfe Steig ist die perfekte 1000-Höhenmeter-Trainingsstrecke! Lasst das Battle beginnen!

Tourdaten

Anreise: Von Annaberg oder St. Martin kommend nach Lungötz. An der Kreuzung beim Lungötzer Hof biegst du Richtung Aualm ab. Auf der Straße immer geradeaus bis zu einem Parkplatz an einem Schranken hinter dem letzten Bauernhof (Hofbauer).

  • Höhenmeter: 1.450
  • Länge: 9 Kilometer
  • Dauer: 4 bis 6 Stunen

26 Kommentare zu “Scharfer Steig: Neues Leben für einen toten Klassiker

  1. Hallo Susi,
    vielen Dank für deinen Bericht! Ich bin schon des Öfteren die Runde Tagweide, Edelweißkogel, Hochkarfelderkopf Laufenerhütte gegangen und werde meinen Horizont im Tennengebirge nun dank dir erweitern können. Ich liebe solche Steige, bin schon gespannt. Danke fürs Teilen!

    Liebe Grüße Lisa

    • Hallo liebe Lisa, ja ein Blick auf die Südseite vom Tennengebirge zahlt sich auf jeden Fall aus. 🙂 Den Scharfen Steig kannst du auch super mit dem Hochkarfelderkopf oder dem Fritzerkogel verbinden. Wenn du die Runde ganz weit ausdehnen möchtest, empfehle ich dir die Variante: Über den Scharfen Steig auf den Edelweißkogel, weiter zum Fritzerkogel und zum Kleinen Fritzerkogel. Von dort aus unmarkiert entlang des Grates zum Bleikogel und über die Tauernscharte und den Jochriedl runter in die Aualm. Dort entlang der Forststraße zurück. Ich bin die Runde schon länger nicht mehr gegangen, aber ich glaube es sind um die 2.300 Höhenmeter. 🙂 Viel Spaß!

  2. Herzlichen DANK für die tolle, ausführliche Tourenbeschreibung!!
    Ich hab die Tour letzte Woche gemacht und stimme Dir in allen Punkten zu: Einsam, abwechslungsreich, herausforderung, und seeeehr ziehend am Grashang… ;-))

    Lieber Gruß
    Astrid

    • Hallo Astrid! Vielen Dank für die Rückmeldung! Es freut uns sehr, dass dir die Tour gefallen hat 🙂 Besuche uns gerne bald wieder im Lammertal! LG Susi

  3. Josef Weitgasser

    Hallo. Bin die super Tour auch schön mehrmals gegangen. Ich finde nur man soll das nicht so breit tretten.Ich kenne das bin aus Filzmoos sobald Touren in den Social medials und reginolalen medien erschienen wurden sie regelrecht überlaufen.Da hat man dann keine Lust mehr sich einer achziger Kolonne anzuschliessen.Bei ins ist das so.Ich meine dieses Gebiet ist super schön aber sollte Individuell bleiben.Ausserdem gehört dies den Tieren die dort leben Gemsen , Murmeltieren, Birkwild etc. Die haben sicher keine Freude wenn alle 10 Minuten und zu jeder Tag und Nachtzeit wir auftauchen und sie verscheuchen. Soweit meine Meinung zu deinem Bericht.

    • Hallo Josef. Danke für deine Meinung. 😉 Der Beitrag ist jetzt schon eine lange Zeit online und ich kann dir sagen, der Scharfe Steig ist immer noch nicht überlaufen ich wohne nämlich direkt darunter. Und wenn es nach dem ginge, dürftest du auch nicht von Filzmoos zu uns rüber fahren und dort eine Tour gehen. LG

  4. Rehrl Andreas

    Hey 😀
    Möchte mich bei euch noch kurz für den tollen Einstieg ins Tennengebirge bedanken. Was für ein genialer Steig – man weiß am Parkplatz schon was einem sportlich abverlangt wird, aber der es war einfach herrlich. Hab den Edelweißkogel und fritzerkogel mitgenommen und bin allerdings in der Laufener Hütte geblieben. Am Tag darauf hab i noch den Bleikogel mitgenommen und dann abgestiegen! Immer wieder schön im tennengebirge – und mit dem Einstieg ein Traum! Also nochmal Danke und weiter so! Viele Grüße vom waginger See, Andi

    • Hallo Andi! Danke für deinen lieben Kommentar! Es freut mich, dass du so schöne Touren im Tennengebirge unternehmen konntest. Da hast du die Tage ja perfekt ausgenutzt. 😍 LG Susi

  5. Hi Susi,
    War heut mit MEINER Berghäsin (ich bin nämlich der alte Berghase😉) am Hochkarfelderkopf mit Weiterweg über die Tagweide und den Firststeig – eine echte Traumtour! Habe noch ein bisschen im IN gestöbert und Deinen Bericht gefunden (war ja schon öfter auf Eurer tollen Seite). Wir hatten nur vom Sattel aus auf den Scharfen Steig hinunter geschaut – schaut ganz schön scharf aus – aber wir wissen ja: immer est anschauen und dann urteilen. Dein liebevoll geschriebener Bericht mt den schönen Fotos regt dazu auf jeden Fall an fürs nächste Mal.
    Übrigens: Weil oben der Steve erscheint: mit dem haben wir zusammen ein Trailrunningbuch übers Berchtesgadener Land gemacht. Wenn Ihr Lust habt, eine kleine Besprechung auf Eurer Seite zu schreiben, schick ich‘s Euch. Einfach eine FB-Nachricht schicken!
    Liebe Grüße
    Michael und Brigitte aus Berchtesgaden

    • Lieber Michael, liebe Brigitte!

      Danke für euren Kommentar. Ich freue mich riesig, dass ihr bei mir daheim unterwegs wart und euch die Tour so gut gefallen hat! Ich kann den Scharfen Steig für den Herbst empfehlen – dann ist die Landschaft dort ganz besonders schön! Und das hohe Gras ist nicht mehr ganz so störend.

      Ja stimmt der Steve hat da schon mal was davon erzählt! Wir können da gerne mal was machen. 🙂

      LG

      • Hi Susi, danke für Deine nette Antwort. Wir werden den Schoafn Steig mal für den Herbst aufs Tourenprogramm setzen, gute Idee 😊. Und wenn Ihr ein Buch wollt, bitte eine kurze Mail schreiben!
        Liebe Grüße
        Michael und Brigitte

  6. Uuuuund wo is den da ofen?😅

  7. Liebe Susi, liebe Berghäsin – genau das, wonach ich als Berglerin/Läuferin suche. Und: Ich liiieebe diese alten Steige. They should not be forgotten.
    Danke. Danke. Danke!

    • Yeah Katrin! Danke für deinen lieben Kommentar 😍 genau solche Leute wie dich brauchen wir im Lammertal. 💪🤗

    • Werd den Steig alsbald ausprobieren, that’s for sure 🙂

  8. Geiler Bericht!

    Wollte gerade schreiben, „Da komme ich mal auf nen Vertical K vorbei“, und dann steht das was von 250 Höhenmeter im I. Grad.
    25 Höhenmeter würde ich mir noch gefallen lassen, aber das ist dann doch ein bisschen außerhalb meiner Komfortzone. 😉
    Gibts da auch was ohne 1er-Gelände?

    • Hi Steve,

      danke dir 🙂

      Ich glaube der Steig wäre wirklich was für dich! Die Schwierigkeiten beschränken sich auf zwei/drei Stellen und auch die sind nicht wirklich zum Klettern. Ist halt schön steil am Ende, aber nichts, wofür du deine Komfortzone verlassen musst 😀

      • Word…dann mach wir mal einen Berghasen-Uptothetop-Action nächstes Jahr daraus! Und wehe ich muss meine K-Zone verlassen 😉

      • Jaaa bitte, das mach ma fix! 😀

  9. Ernst Harrer

    Klasse beschriebener Bericht mit tollen Fotos!,

  10. Ein sehr schöner, anschaulicher Bericht mit tollen Fotos.
    Da kann man in Gedanken richtig mitsteigen.

  11. Super Bericht!

Hinterlasse uns eine Nachricht!

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Du kannst diesen Text nicht kopieren. Wenn du den Beitrag drucken möchtest, verwende Strg+P.

%d Bloggern gefällt das: