Skitouren Tourentipps

Ortler: Skitour auf das Dach Südtirols

Zu Besuch bei König Ortler. Eine Geschichte vom Fallen und Hinaufsteigen auf den höchsten Gipfel Südtirols. 

Die Ski auf meinem Rücken quere ich ein steiles Eisfeld Richtung Ortlerferner. Ich bin fast am Ende meiner Skitour auf den Ortler. Langsam wird es wieder flacher und ich habe Pulver unter den Steigeisen. Ich mache einen Schritt und der Boden bricht unter meinen Füßen weg.

Das hinterlistige Biest hat sein Maul geöffnet und ich hänge in der Gletscherspalte. Meine Beine baumeln über dem Abgrund, mit meinen Armen und meinen Ski hänge ich am Spaltenrand. Von oben höre ich dumpfe Stimmen, während ich damit beschäftigt bin, meine Steigeisen links und rechts in die Spaltenwand zu hauen.

Alles von vorne – Skitour auf den Ortler

Ich schaue aus dem Fenster und weide meinen Blick an den blühenden Obstbaumplantagen, die am Straßenrand an uns vorbei ziehen. Das Thermometer zeigt 27 Grad und mir weht der kühle Fahrtwind durchs Fenster entgegen. In Südtirol ist der Frühling schon in vollen Zügen eingekehrt. Spontan haben wir uns entschlossen, den Ortler zu besteigen. Wir wollen das gute Wetter nutzen und haben uns auf den Weg nach Trafoi gemacht. Um 16 Uhr erreichen wir endlich den Parkplatz Drei Brunnen.

Auf zur Berglhütte: Basecamp unserer Skitour auf den Ortler

Wir schultern unsere Ski und Rucksäcke und starten mit dem Aufstieg zur Berglhütte. Für die Skitour über die Trafoier Eisrinne auf den Ortler ist sie der perfekte Ausgangspunkt. Wir sind zügig unterwegs. Nach etwa 400 Höhenmetern erreichen wir endlich Schnee. Jetzt können die Ski vom Rucksack und wieder wie gewohnt unter die Füße.

Skitour Ortler
Endlich Schnee unter den Skiern. Am Weg zur Berglhütte.

An der Hütte werden wir bereits vom Rest unserer Gruppe erwartet. Mit einem Bier in der Hand genießen wir die Abendsonne. Die urige Berglhütte liegt inmitten einer unvergleichlichen Berglandschaft.

Geöffnet hat sie im Frühjahr nur am Wochenende, wenn die Bedingungen passen und sich genügend Bergsteiger ankündigen. Heuer hat sie zum ersten Mal geöffnet; wir sind damit die Premierengäste der Wintersaison 2017.

Skitour Ortler
Willkommen auf der Berglhütte! 600 Höhenmeter sind es vom Tal bis hier herauf.

Bevor es draußen ganz dunkel wird, wechseln wir in die warme Stube. Strom und fließendes Wasser gibt es auf der Berglhütte zu dieser Jahreszeit nicht. Dafür Kaminfeuer und romantisches Kerzenlicht.

Unsere Mägen knurren und wir freuen uns aufs Abendessen. Auf dem Menüplan stehe eine wärmende Fritattensuppe, Nudeln mit Tomatensoße und als Nachtisch Kaiserschmarrn. Wir sind alle extrem hungrig und so braucht es noch ein große Portion Nachschlag, um unsere Mägen zu füllen.

Nach dem Essen werde ich müde und kuschle mich schon bald in mein Bett. Draußen scheint der Vollmond hell am Himmel und lässt selbst in der Nacht das Zimmer hell erleuchten.

Skitour Ortler
Startschuss zu unserer Skitour auf den Ortler!

Aufstehen!

Um kurz nach vier Uhr poltert es im Gang. Die ersten motivierten Tourengeher sind wach und damit beschäftigt, sich für den Aufstieg vorzubereiten. Ich drehe mich nochmal um und versuche ein wenig weiter zu schlafen.

Um fünf Uhr hämmert der Hüttenwirt an die Tür und ruft in seinem unverwechselbaren Südtiroler Akzent, dass es jetzt Zeit ist, aufzustehen. Wir entscheiden uns lieber noch ein wenig liegen zu bleiben. Eine halbe Stunde später hören wir ihn wieder von draußen rufen. Jetzt will er wissen, ob wir denn kein Frühstück mögen?

Das wollen wir auf keinen Fall verpassen, springen aus dem Bett und rasen nach unten in die Stube. Dort wartet bereits der gedeckte Tisch auf uns. Alle anderen haben bereits gefrühstückt und sind dabei, die letzten Vorbereitungen zu treffen.

Skitour Ortler
Das erste Sonnenlicht auf unserer Skitour auf das Dach Südtirols.

Wir setzen uns gemütlich zum Frühstück. Ich habe wenig Appetit – mein Magen fühlt sich nicht gut an. Beim Gedanken an Essen wird mir übel. Trotzdem würge ich zwei Scheiben Brot mit Honig hinunter, dazu Tee mit viel Zucker. Schließlich brauche ich Energie für den Tag. Mit Mühe kann ich meinen Magen davon überzeugen, alles bei sich zu behalten. Insgesamt fühle ich mich ziemlich matt, aber das schiebe ich schnell zur Seite.

Skitour auf das Dach Südtirols: Ortler, ich komme!

Die Rucksäcke werden gepackt, die Gesichter mit Sonnencreme eingeschmiert und die Harscheisen an die Ski angelegt. Es kann losgehen!

Voller Enthusiasmus machen wir uns auf den Weg. Die Schneedecke ist hart gefroren und mit den Harscheisen finden wir guten Halt. Für mich währt dieser Luxus nur für kurze Zeit. Nach nur wenigen 100 Metern höre ich ein komisches Geräusch unter. Ein Harscheisen ist gebrochen und schwimmt nur noch leblos mit. Fluchend packe ich die Einzelteile in den Rucksack und setzte meinen Weg mit nur einem Harscheisen fort.

Skitour Ortler
Die Skitour durch die Trafoier Eisrinne auf den Ortler erfordert Können und Ausdauer.

Ganz so gemütlich wie vorher komme ich nun nicht mehr voran. Denn durch das fehlende Harscheisen muss ich präziser steigen. Auf dem eisigen Lawinenkegel bezahle ich jede Unachtsamkeit mit unsanftem Wegrutschen. Am Ende des Talschlusses gehen wir steil. Durch die Trafoier Eisrinne nämlich. In einer der vielen Spitzkehren höre ich erneut ein eigenartiges Geräusch aus Richtung meiner Ski. Das zweite Harscheisen ist im Arsch.

Skitour Ortler
Wunderschön. Die Gletscherwelt am Ortler.

Ich muss meine volle Konzentration aufs Steigen richten. In der steilen Rinne ist kein Fehltritt erlaubt. Über uns thronen gewaltige Seracs und unterhalb des Bärenlochs liegen riesige Eisblöcke. Die Skitour auf den Ortler verlangt mir doch einiges ab.

Skitour Ortler
In der Trafoier Eisrinne. Die Schlüsselstelle der Skitour auf den Ortler.

Nach einer gefühlten Ewigkeit im Schatten der Ostwand erreichen wir das Plateau oberhalb der Biwackschachtel. Hier begrüßt uns endlich die Sonne. Dem Schatten der hohen Wände entflohen, haben wir einen Blick auf die umliegenden Berge, den Reschensee und das Stilfser Joch.

Wir nutzen diesen Ort für eine kurze Pause. Während die anderen Energieriegel, belegte Semmeln und Nüsse knabbern, dreht sich mein Magen beim Gedanken an Essen fast um. Generell fühle ich mich schwach und sehne mich nach meinem Bett. Aber dafür ist jetzt kein Platz. Umkehren ist an einem Tag wie heute keine Option.

Skitour Ortler
Endlich in der Sonne! Der Gipfel des Ortlers ist jetzt ganz nah.

Ein bitterböses Biest

Nachdem alle wieder gestärkt sind, setzten wir unsere Tour fort. Mit den Ski geht es noch einen kurzen Anstieg hoch. Dann müssen wir sie an den Rucksack schnallen und dafür die Steigeisen anlegen. Über eine steile Eisplatte geht es zum Ortlerferner hoch. Als es wieder flacher und pulvriger wird,  bricht die Schneedecke unter meinen Füßen weg.

Skitour Ortler
Mächtige Gletscherpanzer überziehen die Gipfelflanke des Ortlers.

Leere unter mir. Der Gletscher hat hinterlistig sein Maul geöffnet, und ich bin ihm zum Opfer gefallen. Von oben höre ich dumpfe Stimmen. Ich ramme meine Steigeisen links und rechts in die Spaltenwand. Als ich gerade Halt gefunden habe, kommt der beherzte Griff meiner Kollegen von oben und ich sitze wieder auf festem Boden. Immer noch vollkommen mit Adrenalin vollgepumpt.

Ich rappel mich auf, befreie mich von dem vielen Schnee und rücke meine Sachen zurecht. Mir ist nichts passiert. Was bleibt ist ein kleiner Schreck und ein noch größerer Respekt vor dem unberechenbaren Gletscher. Nur mein Rucksack hat gelitten, der Verschluss des Hüftgurtes ist gebrochen. Verdammt, heute geht echt alles schief! Mit einem Karabiner befestige ich meinen Hüftgurt und setzte den Aufstieg fort. Plötzlich fühlt sich nicht mehr jeder Schritt selbstverständlich an. Jedes Mal schwingt die Angst mit, erneut einzubrechen.

Skitour Ortler
Finale unserer Skitour auf den Ortler.

Immer wieder sind größere Spalten zu queren, deren dünne Schneebrücken nicht vertrauenserweckend wirken. Ich versuche mich bei jedem Schritt so leicht wie möglich zu machen. Unter mir knarzt der Schnee wie eine alte, morsche Holzbrücke. Ich bin so fokussiert auf den Boden und die Gletscherspalten, dass ich nicht bemerke, dass wir fast am Gipfel sind.

Happy End: Endlich am Ortler-Gipfel

Als wir ihn endlich erreichen, herrscht Sprachlosigkeit. Wir haben es geschafft, wir stehen wirklich am Gipfel des höchsten Berges Südtirols. Und das alleine. Unglaublich! Nachdem sich der Aufstieg so widrig gestaltet hat, fühlt es sich an, als hätte er Wochen gedauert. Nie hätte ich mir die Skitour auf den Ortler so ereignisreich vorgestellt.

Skitour Ortler
Was für ein Gipfel!

Die Aussicht ist gewaltig: Cevedale, die Königsspitze, der Biancograt. Ein Meer von Bergen, die allesamt ihre Spitzen noch mit Schnee bedeckt haben, während im Tal schon Frühling herrscht.

Wir sind total gefangen von diesem Blick und lange weiden unsere Augen in dieser eindrucksvollen Szenerie. Dann starten wir die verdiente Abfahrt. Hier oben hat es sogar noch ein wenig windgepressten Pulver und die Abfahrt über die weiten flachen Gletscherhänge ist ein Genuss.

Skitour Ortler
Abfahrt durch die Trafoier Eisrinne.

Wieder zurück an der Hütte, ist die Stimmung ausgelassen. Jetzt wird ausgiebig geschlemmt und natürlich auf das geniale Gipfelerlebnis angestoßen. Die Unannehmlichkeiten des Aufstiegs, sie sind lange vergessen.

Skitour Ortler
Unsere Skitour auf den Ortler: Ein unvergessliches Erlebnis!

Überglücklich machen wir uns auf die letzten Höhenmeter zurück zum Auto. Selbst auf dem Rückweg begleitet uns das Panorama des Ortlers noch eine ganze Weile, während wir glückselig vor uns hinlächeln.

Skitour Ortler
Zurück im Tal! Die Skitour auf den Ortler – die perfekte Frühjahrs-Unternehmung!

7 Kommentare zu “Ortler: Skitour auf das Dach Südtirols

  1. Liebe Vroni, ich hatte, wie es mein Laster ist, einen längeren Kommentar mit einiger Historie zu dieser Route geschrieben, dann aber, weil ich zwischendurch in Wikipedia etwas nachsehen wollte, die Seite irgendwie aus Versehen gelöscht so was dummes!
    Wenn ich mal wieder mehr Zeit habe, hole ich das nach. Daher in der Eile nur eine Frage zu Deinem Spalteneinbruch: war der unter- oder oberhalb des Eiswulsts, oberhalb dem man das Plateau des Gipfelgletschers erreicht (auf Deinem Foto aus Richtung Lombardibiwak sehr gut erkennbar)? Wieviel Meter vom Wulst entfernt? Wir hatten (2016) gleich nach dem Wulst unsere Steigeisen wieder mit den Skiern vertauscht – seid Ihr danach noch ein Stück mit Steigeisen weitergegangen?
    Deine Antwort wäre für meine Datenbank ‚alpenweites topografisches Unglückskataster‘ sehr wertvoll. Da hinein gehören ja auch die sog. ‚Fastunfälle‘. Ich war bei meiner Ortler-Skitour übigens nicht mehr der jüngste (fast 74 Jahre alt….)
    Dein Bericht ist stilistisch einfach gelungen und auch von tollen Fotos begleitet.
    Noch eine Bitte: könnte ich den Text (ohne Fotos) im Wordformat haben? Ich bin noch etwas altmodisch und habe ein großes
    ‚papiernes‘ Routenarchiv – dort hinein würde ich den den Bericht gerne nehmen.
    Sei herzlichst gegrüßt vom ‚alpinbiblio‘!

  2. hello!! eine zweier seilschaft….doch nicht gut..oder??

    • Hallo! Wie kommst du jetzt auf eine Zweierseilschaft? Vroni war in einer 4er-Gruppe unterwegs.

      LG

  3. Hi Vroni,

    haben gerade Zeit gehabt zu lesen! Sehr, sehr cool – der Ortler ist und bleibt immer wieder ein Erlebnis im wahrsten Sinne des Wortes. Gut, dass alles gut ausgegangen ist.

    Warst Du am Seil? Und Gott sei Dank konntest Du Dich halten…als ich am Seil in einer Spalte hing und raus „krabbeln“ musste, war das schon die Hölle.

    Liebe Grüße, Sabrina

    • Hi Sabrina,
      die Tour war wirklich ein sehr intensives Erlebnis. Aber schön!
      Ja, ich war am Seil. In der Situation war es überhaupt nicht schlimm. Nur danach weiter auf dem Gletscher gehen… da spielt dann die Phantasie verrückt.
      Liebe Grüße
      Vroni

  4. Allworxx_stay_tuned

    Seeeeeeehr cool Hasen 😃😊👍🏻👍🏻👍🏻👍🏻👍🏻

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