Skitouren Tourentipps

Gipfelsperre

Der Großvenediger hat uns eine Abfuhr erteilt. Wie es ist, wenn der Berg ’nein‘ sagt. Eine Gedankenreise.

Du steckst deine gesamte Energie in diesen Berg. Und plötzlich, ohne dass du Einfluss darauf nehmen kannst, verweigert dir der Berg das Weiterkommen. Er baut eine Wand aus Nebel vor dir auf. Bläst dir mit voller Kraft stürmische Böen entgegen und knallt dir Schneekörner ins Gesicht. Dir bleiben nun zwei Möglichkeiten: weitergehen oder umkehren. Gipfelsieg oder Talfahrt. Risiko oder Rückzug.

Gehst du weiter, bessert sich das Wetter vielleicht. Vielleicht wird es aber noch schlimmer. Du riskierst, den Weg nach oben und nach unten zu verlieren, Gletscherspalten zu übersehen oder die Orientierung zu verlieren. Dann ist da nicht nur deine Entscheidung, sondern auch die deiner Kameraden. Ihr müsst gemeinsam eine Lösung finden, mit der alle leben können. Egoismus ist hier fehl am Platz. Wir haben uns dazu entschlossen, umzukehren und uns eingestanden, dass es heute kein Weiterkommen für uns gibt. Das auszusprechen ist jedem von uns schwer gefallen. Die Enttäuschung, der Schmerz, die Wehmut war uns ins Gesicht geschrieben. Eine verpasste Gelegenheit. Das tut weh. Vor allem, wenn die eigenen Fähigkeiten genügen würden und einem die Entscheidung durch die äußeren Umstände aufgezwungen wird.

Du stehst noch einige Minuten an diesem Ort, blickst in die Richtung in der, verdeckt durch Nebel und Schnee, der Berg steht, der an diesem Tag die Welt für dich bedeutet. Deine Gedanken kreisen um all die Strapazen, die du am Vortag auf dich genommen hast, um jetzt hier zu stehen.

Wir waren am Tag zuvor bei Wind in Orkanstärke in fünf Stunden bis zum Deffreggerhaus aufgestiegen. Der Himmel war so strahlend blau, die Sonne so stark – gemeinsam mit dem starken Wind ergab das ein surreales Bild. Der Sturm blies uns den gesamten Aufstieg lang frontal vom Gipfel herab ins Gesicht. Jeder Schritt war doppelt so anstrengend wie gewohnt.

Die Bewegung lässt dich schwitzen, der Wind frieren. Du möchtest dir die Umgebung ansehen, aber der Wind peitscht dir die Kapuze vom Kopf, sobald du diesen anhebst. Dein Gesicht ist rot von der Anstrengung, der Sonne und den Schneekörnern, die sich in deine Wangen bohren. Sie finden immer einen Weg. Gleichzeitig liebst du diese Schinderei. Dieses Ausgeliefertsein in der Natur. Deinen Körper an seine Grenzen zu treiben.

Du staunst über die Kraft der Elemente. Wie der Wind den Berg bearbeitet, deine Spuren sofort wieder verwischt, Schnee aufnimmt, die Flocken zusammenschleift, bis nur noch ein Schneekorn übrig bleibt und die Körnchen an einem anderen Ort wieder ablegt. An der einen Stelle bleiben Eisplatten zurück, an der anderen entstehen fluffige Schneepolster. Unsere Harscheisen krallen sich in die windgepresste Oberfläche, wenige Meter weiter versinken sie im tiefen Triebschnee.

Als wir endlich das Defreggerhaus hinter den Windfahnen entdecken, wünschen wir  uns eine warme Stube. Die gibt es allerdings nicht, weil die Wirte erst in einigen Tagen auf die Hütte zurückkehren werden. Wir müssen im Winterraum übernachten. Als wir ankommen, schaufeln wir erst Mal die Tür vom Schnee frei und betreten dann den vollkommen ausgekühlten Raum. Mühsam heizen wir im Halbdunkel den kleinen Ofen an, um unsere Finger aufzutauen. Nach etwa einer Stunde sind wir wieder auf Betriebstemperatur, werden aber sofort müde. Um neun Uhr legen wir uns in der wohlig warmen Stube in die Lagerbetten. Beinahe schwitzen wir in unseren Schlafsäcken. Nach nur wenigen Stunden Schlaf wache ich zitternd auf und ziehe meine Primaloftjacke über. Die kalten Wände saugen jegliche Wärme aus dem Raum. Draußen bringt der sternenklare Nachthimmel die Schneedecke zum Leuchten.

Am Morgen gefriert unser Atem in der Luft. Innen wohl gemerkt. Das Lager ist eiskalt. Der Ofen auch. An der Fensterscheibe hat sich eine dünne Eisschicht gebildet. Innen, nicht draußen. Jetzt aufstehen und in die kalten Schuhe schlüpfen? Mir schaudert. Aber heute ist Gipfeltag! Deshalb raus aus dem Bett, ein schnelles Frühstück hinabwürgen und aufbrechen.

Der Wind hat über Nacht etwas nachgelassen. Dafür hängen jetzt Wolken über den Gipfeln. Wir bleiben optimistisch und brechen zum Rainertörl auf. Man kann nicht immer Kaiserwetter am Gipfel vorfinden, muntern wir uns auf.

Je höher wir steigen, desto mehr schwindet unser Vertrauen, heute noch am höchsten Berg Salzburgs zu stehen. Nebel kriecht langsam vom Gipfel an den Rand des Gletschers herunter. So werden wir weder am Gipfel, noch am Weg nach oben etwas sehen. Auch nicht die Gletscherspalten, die sich hier zuhauf durch das Kees ziehen. Es wäre ja nicht mehr weit. Bloß noch eine Gletscherüberschreitung und ein kurzer Anstieg. Verunsicherung steigt in uns auf. Und wir treffen die Entscheidung, die uns allen weh tut. Wir brechen ab.

Tief in unserem Herzen wissen wir aber, dass wir uns richtig entschieden haben. Und in einigen Tagen wird auch die Einsicht in uns wachsen, dass wir aus dieser Erfahrung stärker hervorgehen. Wir haben dieses Abenteuer noch nicht abgehakt. Es liegt weiterhin vor uns. Und das treibt uns an. Wir kommen wieder, lieber Großvenediger. Bei besserem Wetter und reifer als zuvor.

7 Kommentare zu “Gipfelsperre

  1. Pingback: Die Berghasen erkunden Osttirol – Hotel Entdecker Osttirol

  2. Sehr schöner Bericht! A Bergsteiger der net umdrehn kann, der wird net alt… 😉

    Lg
    Dani

  3. Schade, dass es bei euch nicht geklappt hat. Der Bericht ist super verfasst und ich kann mich richtig in euch hineinversetzen. Mich haben heuer der Preber mit orkanartig starkem Wind und der Taferlnock wegen Nebel (und der nicht einschätzbaren Lawinengefahr) nicht raufgelassen -> abdrehen, abhaken, glücklich über die richtige Entscheidung sein und bei passender Gelegenheit wieder kommen (so zB eine Woche später bei traumhaftem Wetter am Taferlnock). Der Venediger steht auch noch später da 🙂 Ihr habt so das Risiko minimiert und könnt uns weiterhin mit euren tollen Berichten, Fotos und Blogs anreizende Ziele vermitteln.

    LG, Franz

    • Hallo Franz!
      Wir denken, dass eine Umkehr irgendwann unausweichlich ist, wenn man sein bergsteigerisches Können und seinen Horizont erweitern möchte. Beim nächsten Mal sind wir hoffentlich erfolgreich und können Dir schöne Bilder mitbringen 🙂
      Liebe Grüße!

  4. Das habt Ihr sehr schön und nachvollziehbar geschrieben. Chapeau!
    Berge sind kein Spielplatz und jeder für sich alleine oder die Gruppe muss abwägen können, was ihm sein Ziel Wert ist und wieviel Risiko er dafür eingeht. Ich finde es gut, daß die Gruppe die Entscheidung getroffen hat nicht weiter zu gehen. Das Ihr entäuscht seit ist nachvollziehbar. Viel wichtiger ist, dass Ihr wieder gesund runter kommt. Berg rauf ist das eine, gesund wieder runter ist viel wichtiger. Bis dahin macht weiter so…

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